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10+10
 
PUBLIC DISPLAY OF AFFECTION
Public Display Of Affection
Eigentlich hätte an dieser Stelle ein "normales" Feature zum aktuellen Doppelalbum "Expressions Of Obsessions" der Berliner Post-Punk-Band Public Display Of Affection erscheinen sollen, mit dem wir dann Werbung für eine im Frühjahr bereits geplante Headliner-Tour gemacht hätten. Dass das nun nicht geschieht, hat einen traurigen Hintergrund. Madeleine Rose - die Frontfrau des Projektes - hatte gerade zusammen mit Drummer Anton Remy ein neues Line-Up zusammengestellt, nachdem die Bandmitglieder Jesper Munk und Lewis Lloyd das Projekt verlassen hatten, um sich besser auf ihr gemeinsames Projekt Plattenbau konzentrieren zu können. Gerade waren P.D.O.A. dabei, mit der neuen Besetzung eine erste Promo-Live-Tour zu absolvieren, als sie in einen Autounfall mit tragischem Ausgang verwickelt wurden. Die gerade frisch angelernte Bassistin Amanda Longo kam dabei ums Leben und Madeleine Rose wurde schwer verletzt. Logisch also, dass die geplante Tour in diesem Jahr nicht stattfinden kann und sich die Band gerade eine Auszeit genommen hat, um sich neu sortieren zu können.

So unterhielten wir uns dann mit Madeleine Rose im Rahmen unserer 10+10-Serie über das - unabhängig von den tragischen Ereignissen - ambitionierte Mega-Projekt "Expressions Of Obsessions". Auf dieser Doppel-LP finden sich dann die beiden Teile "Dangerous Ability To Suffer" (für das sich Madeleine Rose und Anton Remy mit dem Geiger Kaio Moraes und diversen Gästen für ein elektronisches Ambiente entschieden hatten) und "Accessory To Murder" (auf dem die letzten Aufnahmen in der alten Besetzung mit Jesper Munk und Lewis Lloyd im gewohnten Postpunk-Setting zu hören sind).

Der Act II "Accessory To Murder" ist musikalisch nicht sehr unterschiedlich zu dem, was Public Display Of Affection schon auf dem ersten Album "I Still Care" gemacht haben - weil eben Jesper Munks Gitarrenbeiträge doch sehr dominant sind. Wie kam es dann aber dazu, dass Act I "Dangerous Ability To Suffer" in eine ganz neue, avantgardistische und elektronische Richtung ging? "Seit 2021 waren wir ja mit dem Material der ersten LP unterwegs - und als uns vor etwa einem Jahr Jesper und Lewis vorwarnten, dass sie die Band verlassen wollten, hatten wir gerade den Support für eine Studio-Residenz bekommen, so dass ich vorschlug, dass wir ins Studio gehen sollten, um das, was wir bis dahin geplant hatten, einzuspielen, denn ich wusste, dass ich am Ende des Jahres dann eine Doppel-LP mit den uns zur Verfügung gestellten Mittel produzieren wollte, damit wir dann etwas hätten, mit dem wir auf Tour gehen könnten. Die Transition, bei der wir dann Kaio Moraes mit ins Boot holten, um in Antons Studio elektronische Musik zu machen, passierte ganz organisch. Jesper und Lewis brachten Kaio und der (nun leider verstorbenen) Bassistin Amanda Longo ihre Parts bei. Ich lud dann einige FLINTA-Frauen als Gäste ein, um der Sache einen weiblicheren Charakter zu geben. Das ganze Album ist also eine ziemlich kollaborative Angelegenheit."

Was ist denn nun - in dem elektronischen Setting - der Fokus? "Nun, ich denke, dass ich die ganze Sache im Kern zusammen halte und Anton den Rhythmus vorgibt. Sebastian Stein ist wichtig für die visuelle Repräsentation des Ganzen und Maria Secio für die Live-Visuals. Diese Gruppe von Freunden bilden dann eine Familie. Der Unterschied zwischen Act I und Act II sind dann die beteiligten Musiker. Der Act I ist dann musikalisch insofern anders, als dass es sich dabei sehr viel stärker um eine Studioproduktion handelt, was sich auch auf den kreativen Prozess auswirkte. Es gibt mehr Soul, mehr Atmosphäre, lange Monologe, die sich mit dem Thema Veränderung beschäftigen, während es in Act II darum ging, auszudrücken, dass wir als Independent Künstler wieder mal ein Jahr in widrigen Zeiten überstanden hatten."

Wie bereits erwähnt, war das Album bereits fertig, als der tragische Unfall vom November letzten Jahres die Vorbereitung für die (nun abgesagte) Tour jäh unterbrachen. Was ist denn seither passiert? "Zur Zeit erhole ich mich noch von den Folgen des Unfalls. Ich hatte vier Brüche in meinem Genick und meiner Brust und eine offene Kopfwunde erlitten und musste erst mal meinen Körper heilen und hatte keinen kreativen Flow. Anton renovierte derweil das Studio und ich lag für zwei Monate im Bett. Dabei hat es mir sehr geholfen, Gospel und Soul Musik zu hören und auf andere Gedanken zu kommen und eine positive Lebenseinstellung zurück zu gewinnen. Musik hat nämlich diese Kraft, das Leben positiv zu beeinflussen."

Zur Zeit muss Madeleine Rose noch regelmäßig ihre Verletzungen behandeln lassen. Erst wenn der Heilungsprozess abgeschlossen ist, werden Public Display Of Affection daran gehen, sich neu zu sortieren und neues Material zu erschaffen. Bevor das dann allerdings konkret wird, wird auf jeden Fall die Tour für das Album "Expressions Of Obsessions" nachgeholt werden. We will keep you posted.

1. Was ist deine Definition von "guter Musik"?

Für mich ist gute Musik, Musik zu der ich tanzen können muss. Ich muss einfach tanzen - denn ich bin ja vor allem eine ausgebildete Tänzerin. Und wenn das Blut nicht durch den Körper gepumpt wird, dann funktioniert das nicht. Wie ich die Menschen dazu bringe, zu tanzen, ist über die Inspiration, indem ich die Menschen zum Denken anrege. Ich finde es wichtig, die Menschen einzubinden. Gute Musik hat mir auch immer geholfen, wenn ich etwas Schreiben will. Wenn ich Musik höre, dann kann ich meine Gedanken besser auf das Papier bringen.

2. Was war der wichtigste Einfluss bei den Aufnahmen zur neuen Veröffentlichung?

Vieles ist davon geprägt, lebensverändernde Erfahrungen gemacht zu haben. Es ist nicht so, dass ich sagen könnte, dass dich dieser Song an jenes und jener Song an dieses erinnert. Ich höre mir keine Musik anderer Leute an, wenn ich Musik mache. Ich schreibe zunächst mal. Der Song "Notice" entstand etwa, nachdem ich meine Mietwohnung verlassen musste. Das ist ein politischer Song. Wir als Künstler sind von der Wohnungsnot natürlich besonders betroffen, weil wir nirgendwo hin können. Die ganze Musik auf dem Album ist also nicht von der Musik anderer inspiriert, sondern von der Musik des Lebens und den Umständen, unter denen sie entstand.

Anton Remys Inspiration hingegen ist Radiohead. In derselben Weise, in der ich mich mit meiner Musik oft auf das Theater beziehe, hat die Musik, die wir dann jetzt zusammen machen, auch elektronische Hintergründe - wie eben bei Radiohead. Ich bin ja als Produzentin und Songwriterin dafür, die Show ans Laufen zu bekommen. Anton meinte aber ganz richtig, dass ich seine "Sprache" - also die elektronische Musik - verstehen müsste, damit wir auf gleicher Augenhöhe agieren können.

3. Warum sollte jeder eure neue Veröffentlichung kaufen?

Um auf einen Trip zu gehen. Ein Trip, der dich aus deiner eigenen Realität in eine andere überführt.

4. Was hast du dir von deiner ersten Gage als Musiker gekauft?

Schallplatten - ich habe das Geld zurück in das Projekt gegeben. Und ich habe mir einen sehr schönen blauen Samtanzug im Iggy Pop-Stil gekauft.

5. Gab es einen bestimmten Auslöser dafür, dass du Musiker werden wolltest?

Schon als kleines Mädchen habe ich immer Möglichkeiten gefunden, ein Spektakel zu veranstalten und Leute dazu zu bringen, mir zuzuschauen. Das war dann eher zunächst theatralisch. Es war dann aber als Teenagerin mit 13, 14 zu Festivals ging und dort Karen Oh mit einer Gabel in ihrem Haar performen sah, dachte ich mir dann, dass ich auch sowas machen könnte. Heute folge ich einfach meinem Mantra, indem ich frage: "Was würde Patti Smith in dieser Situation tun".

6. Hast du immer noch Träume - oder lebst du den Traum bereits?

Ich zeige dir mal ein Statement, was ich bei einem großen schwedischen Zirkus neulich gesehen habe - weil ich zur Zeit zwischen Berlin und Schweden hin und her pendele - was die Sache ganz gut auf den Punkt bringt. "Wir sind müde geworden, große Träume zu träumen und klein zu leben. Also haben wir beschlossen, alles zu riskieren, um unseren Traum leben zu können." Wie gesagt: Das ist ein Statement vom Zirkus. Ich denke aber, wir als Künstler uns sowieso immer einer tieferen, existentielleren Bedeutung der Träume bewusst sind. Ich bin eine ziemliche Träumerin, die davon träumt, unabhängig Kunst und Musik machen und independent veröffentlichen zu zu können - jetzt schon zum dritten Mal. Also sicher träume ich - nicht in Sachen Logistik, nicht im privaten und nicht Verabredungen 2025 betreffend - sondern als Künstlerin. Du siehst ja wie es ist wenn du ins Museum oder zu einer Show gehst - wahre Künstler sind heute fast schon ausgestorben. Deswegen träume ich ganz sicherlich.

7. Was war deine größte Niederlage?

Die größte Niederlage ist als Künstler gegen das kapitalistische System kämpfen zu müssen und dabei zu erkennen, dass deine Chancen so klein sind, weil eine Gruppe von Milliardären alle Plattformen, auf denen wir unsere Musik anbieten können, kontrollieren. Und schau dir die Labels an: Die bekommen 80% und die Künstler 20%, weil die Künstler ja in diesen rechtlichen Angelegenheiten nicht so bewandert sind und das Rechtssystem von Leuten geleitet wird, die selber keine Künstler sind. Man hat also fast keine Chance dagegen angehen zu können.

Schau dir zum Beispiel mal afrikanische Kulturen an, die gegen die Imperialisten alleine aufgrund ihrer Stärke und Energie bestehen konnten, obwohl sie keine Massenvernichtungswaffen hatten. Was aber uns als Musiker fühlen lässt, das wir geschlagen sind, ist der Umstand, dass für uns dieses System nicht zur Verfügung steht. Egal wie ambitioniert und fleißig du bist, Platten presst, Merch machst und Content generierst, spielt das nicht in die Algorithmen der Sozialen Medien rein. Wir hatten neulich eine Show gebucht und es bestand die Möglichkeit, einen größeren Raum zu buchen. Ich meinte dann, dass wir das unbedingt machen sollten, weil ich wusste, dass wir den Raum füllen konnten, weil ich auf unsere Fans vertrauen kann. Das hat dann auch geklappt - aber eben außerhalb des Systems. Es ist das System, durch das man sich besiegt fühlt. Man braucht auf allen Ebenen also eine Gemeinschaft, um überhaupt (außerhalb des Systems) bestehen zu können - und das braucht Ausdauer. Musiker müssen deswegen ermutigt - und nicht kritisiert werden.

8. Was macht dich derzeit als Musiker am glücklichsten?

Die Gemeinschaft, Liebe, Beziehungen. Auch etwas Greifbares wie eine Vinyl-Scheibe vorzuweisen zu können, macht mich glücklich. Denn wer weiß, was mit uns in zehn Jahren passiert - aber es gibt halt unsere Musik in einem physischen Format, auf das wir uns alle beziehen können.

9. Welches ist das schlechteste Lied, das je geschrieben wurde?

Wir sprachen doch eben über Positivität und Künstler ermutigen zu wollen und nun willst du, dass ich das schlechteste Lied benenne? Ich denke, wenn die Texte von Instagram handeln, dann ist das etwas, mit dem ich nichts anfangen kann - weil wir uns ja nicht in diesen Zirkeln bewegen. Ich finde es peinlich, wenn jemand in einer Zeit, in der es so viel Armut und Verzweiflung gibt, in seinen Texten damit kokettiert, dass er reich ist. Das ist grotesk.

10. Wer - tot oder lebendig - sollte auf deiner Gästeliste stehen?

Es wäre schön, ikonische Frauen wie Liza Minnelli, Marilyn Monroe, Mariah Carey, Amy Winehouse oder Maria Callas auf der Liste zu haben. Diese enormen Diven, die auf eine intelligente Weise eine Karriere - auch als Vokalistinnen - realisiert hatten. Für die würde ich gerne mal ein privates Konzert veranstalten. Ich hatte mal eine Hypnose-Session, in der mir die gleiche Frage gestellt wurde - und das führte mich dann zu dieser Idee eines Raumes voller schöner, erfolgreicher Frauen.

Weitere Infos:
www.instagram.com/p.d.o.a.live
www.madeleinerose.eu
publicdisplayofaffection.bandcamp.com
www.youtube.com/watch?v=4KYTn_YSJ_w
Text: -Gaesteliste.de-
Foto: -Pressefreigabe-
Public Display Of Affection
Aktueller Tonträger:
Expressions Of Obsessions
(The Mad Express)


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