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Interview-Archiv

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A.S. FANNING
 
Ein Mann für alle Krisen
A.S. Fanning
Natürlich hatte auch der irische Songwriter A.S. Fanning (oder kurz "Stephen", wie er gerne genannt werden will) mit der Pandemie zu kämpfen wie jeder andere auch. Und wie viele seiner Kollegen saß auch er in diversen Lockdowns fest - in seiner Wahlheimat in Berlin, während seine Familie im heimatlichen Dublin weilte. Und wie manch andere auch hatte er das Pech, dass ausgerechnet in dieser Zeit eine langjährige Beziehung in die Brüche ging. Genügend Gründe also, in Trübsinn und Schwarzmalerei zu verfallen, als er daran ging, seine Gedanken zu ordnen und sein nun vorliegendes, drittes Album "Mushroom Cloud" vorzubereiten. Und auch wenn es auch auf seinen bisherigen Alben "You Should Go Mad" und "Second Life" nicht eben lustig zuging, überrascht dann doch die dystopische Urgewalt, mit der Stephen auf "Mushroom Cloud" nun wirklich jedes aktuelle persönliche und universelle Krisenszenario als Basis für seine morbiden Moritaten hernimmt - was "Mushroom Cloud" zu einer der wirklich desolatesten musikalischen Kommentare unserer Tage macht.
Atombomben, Verschwörungspraktiker, Geister, Süchte, Krankheiten, Schimmel und die Einsamkeit - alles will, alle wollen Stephen Fanning an den Kragen. Und das lässt er den Hörer spüren - sowohl inhaltlich wie auch musikalisch - indem er seine Songs in Form schwermütiger, stoischer, schwelgerischer, analoger Monumentalballaden inszeniert und in seinem Wehmut förmlich aufzugehen scheint. Kann es aber sein, dass der Mann schlicht all seine negativen Energien in seiner Kunst verbrät? Denn als Mensch und Typ ist Stephen keineswegs ein grüblerischer Nihilist, sondern jemand, der auch mal schmunzelnd auf das blickt, was ihm da so aus der Feder tropft. Wie konnte es also dazu kommen, dass er zum größten Musikmisanthropen unserer Tage werden konnte? Fangen wir mal von vorne an: Wie kam Stephen Fanning denn zu seiner Berufung? "Mein Vater war recht musikalisch. Er war ein Hobby-Jazz-Musiker und spielte Klarinette, Klavier, Harmonika und Gitarre", erinnert sich Stephen, "es gab also immer viele Instrumente zu Hause - und wenn solche Sachen da sind, dann wird man irgendwann neugierig. Mit zehn oder elf habe ich mir eine Gitarre geschnappt und mein Vater hat einen seiner Musiker gebeten, mir Stunden zu geben und dann war es nur noch eine Sache von 'warum eigentlich nicht?'." Dabei hat Stephen aber gar nicht als Solo-Songwriter angefangen, oder? "Nein - ich habe als Teenager lange Zeit meiner Band Porn Trauma gespielt, die wir später in The Last Tycoons umbenannten", erinnert sich Stephen, "der Grund, warum ich dann nach Berlin gezogen bin, war ursprünglich der, dass ich mit einem Label namens Tonetoaster aus Nordrheinwestfalen zusammenarbeitete, durch das ich auch das erste Mal vom Orange Blossom Festival gehört habe. Ich bin viel in Deutschland herumgereist und mochte es hier sehr und entschied mich zu bleiben. Die Band kam ab und an zum Touren aus rüber - aber am Ende haben wir beschlossen, uns zu trennen und ich habe dieses Solo-Projekt begonnen. Meine erste Veröffentlichung war dann die Single 'Carmelita'."

Da sind wir auch gleich bei einem interessanten Einstieg in die Gedankenwelt des A. S. Fanning angelangt: "Carmelita" ist ursprünglich ein Song aus der Feder von Warren Zevon - den dieser über die Drogen-Szene des Echo Park-Viertels im Los Angeles der 70er Jahre schrieb und als Tex-Mex-Country einspielte. Cover-Versionen des Tracks gibt es viele (z.B. auch eine von Linda Ronstadt) - Stephen erfand den Song aber komplett neu, schrieb neue Lyrics, übertrug das Setting von L.A. nach Dublin und behielt vom Original nur das Drogen-Thema bei. Wie kommt man denn auf so etwas? "Ich weiß auch nicht", schmunzelt Stephen, "ich habe den Song ja vor fast zehn Jahren gemacht. In Dublin gab es zu dieser Zeit ein sichtbares Heroin-Problem. Jedes Mal, wenn du einen Bus benutztest, hingen da irgendwelche Junkies auf der Rückbank rum. Ich kannte den Song von Warren Zevon und mochte den auch - er hatte aber diese romantische spanische Note und ich hatte die lustige Idee, den in meine Realität zu übertragen." Um es kurz zu machen: "Mushroom Cloud" ist ein Dystopie-Album wie es im Buche steht. Es gibt nun wirklich kaum ein Endzeit-Szenario das A.S. Fanning hier nicht thematisiert. Diese Themen gab es ja auch schon auf früheren Fanning-Alben. Wieso ist das neue Album aber noch viel düsterer als die anderen? Gab es da vielleicht noch einen Katalysator, der die ganze Gefühls-Palette verdichtete? "Ich denke, es ging besonders darum, wie isoliert ich während der Pandemie war", zögert Stephen, "ich habe mich zu der Zeit aber obendrein auch noch von meiner Freundin getrennt, mit der ich lange Zeit zusammen gelebt habe. Ich hatte damals also generell keine besonders glückliche Zeit - aber zusätzlich dann auch nicht viele Fluchtmöglichkeiten aus dieser Situation." Das erklärt natürlich so Einiges. Da sei dann auch gleich die Frage erlaubt, ob Stephen heutzutage - nachdem er das alles verarbeitet und hinter sich gelassen hat - dann ein glücklicherer Mann ist? "Ich denke schon", lacht Stephen, "es ist interessant, wenn ich daran zurückdenke, denn ich war gar nicht so besonders unglücklich damals. Ich hatte allerdings eine depressive Episode und es ist definitiv heute besser geworden - auch weil es heute einfach wieder soziale Kontakte und die Möglichkeit Konzerte zu spielen gibt."

Wie entstanden denn die Songs von "Mushroom Cloud"? "Das war ganz interessant, weil ich damals diese Methode entwickelt haben, fast automatisch zu schreiben", erinnert sich Stephen, "ich schrieb einfach aus dem Unterbewusstsein heraus und habe mich diesen düsteren Gedanken dann einfach hingegeben." Heißt das dann vielleicht, dass Stephen all seine negativen Gedanken über seine Kunst verarbeitet und therapiert? "Naja, ich denke schon, dass das Ganze einen gewissen therapeutischen Wert hat", überlegt Stephen, "aber ich sage so etwas nicht gerne, weil es nicht wirklich heilt. Es hilft aber in dem Sinne, wie ein Gespräch mit einem Therapeuten hilft - wenn man sich dann selbst etwas laut aussprechen hört, was man ansonsten für sich behalten hätte. Man bringt die Sache dann in die Perspektive. Und wenn man Dinge zu Papier bringt, kann man sie ja auch ein wenig distanzierter betrachten. Wenn man den düstersten Gedanken, den man haben kann, aufschreibt, dann hat das einen therapeutischen Wert, würde ich sagen." Ist Stephen denn manchmal selbst davon überrascht, was da zu Tage kommt? "Ja", schmunzelt er, "während ich an dem Album arbeitete, schrieb ich jeden Morgen erst mal auf, was mir durch den Kopf ging, ohne allzu viel darüber nachzudenken. Ich habe einfach die Worte aneinandergereiht. Dann habe ich einen Kaffee gekocht und mir durchgelesen, was ich da aufgeschrieben hatte - und musste dann manchmal auch ein wenig darüber schmunzeln, wie düster das alles war. Ich denke aber, dass das eine ganz gesunde Sache war, über diese Dinge dann auch zu lachen. Besonders wenn ich keine Ahnung davon hatte, dass ich solche Gedanken in mir hatte."
Vielleicht ist seine Musik unter dem Strich dann auch gar nicht so unerträglich und dräuend, wie es die Inhalte und die schwermütig angelegten, organischen Arrangements das vielleicht hätten erwarten lassen. Spielen da vielleicht auch Träume eine gewisse Rolle? "Ich weiß nicht - denn ich erinnere mich nie an meine Träume", sagt Stephen, "bewusst spielt das also keine Rolle. Aber vielleicht landet ja das, was mir Nachts im Kopf herumschwirrt so unbewusst auch auf dem Papier." Was hat denn das Ganze gebracht, sich die Dämonen sozusagen von der Seele zu schreiben (und zu singen)? In seiner aktuellen Bio etwa führt Stephen aus, dass er sich für den Zustand der Isolation neu zu kalibrieren suchte. Das Thema Isolation spielt auf dem neuen Album jedenfalls eine große Rolle - am deutlichsten etwa in dem Song "Sober", in dem er darüber philosophiert, in der Einsamkeit eines Jobs auf einem Walfänger-Schiff Trost und Genugtuung finden zu können. "Das hing mit dem Ende meiner Beziehung zusammen", räumt Stephen ein, "ich versuchte also den Gedanken zu akzeptieren, dass es okay sein könnte, alleine zu sein und einen Sinn darin zu erkennen. Zu der Zeit reiste ich viel - zum Beispiel nach Schweden - und wusste nicht, wo ich landen würde. Ich habe mir dann gesagt, dass ich mir selbst genug sein würde - egal wo ich landete." Hat das denn funktioniert? "Das weiß ich gar nicht", lacht Stephen, "ich denke, da ich noch hier bin, hat es wohl funktioniert. Es hätte jedenfalls schlimmer kommen können." Etwas Ähnliches hatte Stephen ja schon mal durchgemacht, als sein Vater verstorben war und er von Irland nach Berlin zog und dort das Verhältnis zu seiner Familie neu ordnen musste. "Ja, das war ähnlich, "ich zog ja nach Berlin und hatte dann meine Familie noch in Dublin. Da habe ich mir auch gesagt, dass ich mich dann besser an diese Situation gewöhnen müsste. Den Ort, wo ich dann war, musste ich als meine Heimat betrachten."

Es fällt schwer, sich Stephens Songs als akustische Folksongs vorzustellen. Die Arrangements verleihen der Sache ja erst ihre orchestrale Grandezza und sind in diesem Sinne auch prägend. Muss Musik eigentlich nach Stephens Meinung größer als das Leben sein? "Zunächst mal schreibe ich nur selten einen Song mit der akustischen Gitarre in der Hand", gibt Stephen zu bedenken, "oft suche ich mir nur ein paar Akkordfolgen und lasse es dann erst mal liegen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, meine Songs zur akustischen Gitarre vorzutragen. Meine Songs sollen mit der Band gespielt werden. Und ja, die Musik in meinem Kopf nimmt schon viel Raum ein. Ich schreibe aber für gewöhnlich sehr schnell und denke nicht zuviel über solche Aspekte nach. Ich denke, dass meine Musik sich instinktiv etwas größer als das Leben anfühlen sollte. Auf eine gewisse Weise haben ja meine Songs auch eine romantische Note - jedenfalls in dem Sinne, dass sie nach etwas Verborgenem suchen, nach etwas Größerem. Sowas in der Richtung."
Wie denkt Stephen über seine musikalische Zukunft nach? Gibt es irgendetwas, was er ändern oder machen möchte? "Ich denke nicht allzu viel voraus", räumt er ein, "man sollte nicht zu sehr an die Zukunft denken - aber auf der anderen Seite ist es doch klug zumindest an den nächsten Schritt zu denken. 'Mushroom Cloud' kommt ja jetzt demnächst raus - und wenn ich da nicht schon an mein nächstes Album denken würde, dann, dann bestünde die Möglichkeit, dass ich irgendwann gegen eine Wand renne oder einen leeren Raum vorfände. Wenn ich meine neuen Songs schreibe, dann sollte ich mir aber Zeit dafür nehmen können - was immer eine gute Ausgangsposition ist." Die neuen Songs waren vor der aktuellen Tour ja noch gar nicht erprobt, oder? "Nein - das passierte alles so schnell, dass das nicht möglich war", erklärt Stephen, "die Songs wurden ja sehr schnell geschrieben und sogar die Aufnahmen fanden an gerade mal fünf Tagen statt. Wir testen also gerade jetzt erst diese Songs." Was ist für Stephen persönlich der wichtigste Aspekt des neuen Albums 'Mushroom Cloud'? "Och, ich weiß nicht", überlegt Stephen, "ich bin sehr glücklich damit, wie schnell das alles zustande gekommen ist. Ich denke, es ist ein ordentliches Album, das wir zusammen im Studio mit allen Limitierungen - von denen es einige gibt - zustande gebracht haben. Es ist eine gute Art Musik zu machen und es gibt dir ein Gefühl der Erfüllung. Es ist zwar nicht perfekt - aber nichts ist ja perfekt."
Weitere Infos:
www.asfanning.com
www.facebook.com/asfanning
www.instagram.com/asfanning
www.youtube.com/@ASFanning
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Neil Hoare-
A.S. Fanning
Aktueller Tonträger:
Mushroom Cloud
(K&F/Broken Silence)
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