Gaesteliste.de Internet-Musikmagazin



SUCHE:

 
 
Gaesteliste.de Facebook Gaesteliste.de Instagram RSS-Feeds
 
Interview-Archiv

Stichwort:



 
SINKANE
 
Die Suche nach dem Ich
Sinkane
Es ist ja fast schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Interviews zum neuen Album von Ahmed Gallabs Projekt Sinkane ausgerechnet an jenem Tag stattfinden, an dessen Abend Umar al-Bashir, der korrupte, diktatorische Präsident des Sudan, nach 26 Jahren Amtszeit, in denen er das Land in den Ruin getrieben hatte, durch einen Militärputsch seines Amtes enthoben wurde. Denn Bashir ist - neben Donald Trump - der Lieblingsfeind des sudanstämmigen New Yorkers. Auch auf seinem siebten Album, "Dépaysé", greift er seine Position als farbiger Muslim mit Migrationswurzeln in den USA auf und entwarf ein kunterbuntes Agitprop-Szenario, das er dem Thema "Entwurzelung" unterordnete. Dafür wählte Ahmed das französische Wort "Dépaysé", weil dieses vom Sinngehalt neben der topographischen auch die kulturelle Entwurzelung beinhaltet. Dabei setzt Ahmed auch ganz en passant seine Tradition fort, seine Ideen mittels intellektueller Wortspielereien an den Zuhörer heranzutragen. (Der Projektname, "Sinkane", entstand etwa durch eine Amerikanisierung des Namens von Joseph Cinqué, dem Anführer der Revolte auf dem spanischen Sklavenschiff Amistad.) Kurz gesagt: "Dépaysé" ist ein über den bloßen musikalischen Gehalt hinaus auch ein politisches Statement geworden, right?
"Also weißt du", zögert Ahmed, "ich denke, dass alles, was ich tue, auch immer ein bisschen politisch ist. Vielleicht wollte ich dieses Mal aber ein wenig deutlicher auf Konfrontation gehen. Der Unterschied zum letzten Album 'Life & Livin' It' ist der, dass ich dieses Mal - bis auf einen Song - alle Texte ganz alleine geschrieben habe. Ich hatte dieses Mal auch nicht so viel Angst, die Dinge auf einer sehr persönlichen Ebene deutlich anzusprechen. Das ist eigentlich das, was ich zuvor auch schon hatte machen wollen - aber dieses Mal habe ich es mich auch einfach mal getraut." Und was war der Auslöser dafür? "Wir leben heutzutage in einer sehr interessanten Zeit", überlegt Ahmed, "in dem Sinne, was alles in der Politik passiert. Ich bin sicher, dass mich das sehr stark beeinflusst hat." Was war denn die musikalische Inspiration für das neue Album? Wenn man sich die Sache so anhört, könnte man sich ja an die großen Zeiten von Sly & The Family Stone und andere Afro-Rock-Pioniere erinnert fühlen. "Und da wäre ich dir auch gar nicht böse", räumt Ahmed ein, "denn Sly Stone war eine sehr große Inspiration für dieses Album. Ich habe mir viel von seiner Musik, Bob Marley und afrikanische Musik angehört, als wir an dem Album arbeiteten - eigentlich also dem, was mich immer schon interessierte." Bedeutet die Fokussierung auf die Black Music, dass es Ahmed als Songwriter eher um die rhythmischen Aspekte geht? "Nein", widerspricht er, "ich würde sogar sagen, dass meine bevorzugten Songwriter sich eher auf die Melodien konzentrieren - wie zum Beispiel Bob Marley, Sly Stone oder Paul McCartney. Was mir aber auch noch wichtig ist, sind sehr persönliche, direkte und einfache Texte - was diese Leute auch drauf haben. Das in Kombination kann zu faszinierende Arbeiten führen."
Was auf dem neuen Album auffällt, ist die Hinwendung zu psychedelischen Klangelementen. "Auf jeden Fall", bestätigt Ahmed, "so etwas hat mich immer interessiert. Wenn du dir Sinkane live ansiehst, dann ist das ja ein ziemlich wichtiger Faktor bei uns. Womit ich bisher aber immer Probleme hatte, war die Sache, dass wenn ich aus dem Studio kam und die Sachen dann mit den Musikern gespielt habe, diese immer so anders klangen, als das, was ich im Studio probiert hatte - weil auf der Bühne eine ganz andere Energie entsteht. Deswegen habe ich schon bei 'Live & Livin' It' beschlossen, die Sachen nicht mehr alleine im Studio, sondern mit meiner Band aufzunehmen. Damals bin ich der Sache schon näher gekommen, aber ich denke, dass ich erst jetzt, mit 'Dépaysé', das Ziel erreicht habe, weil wir live im Studio gespielt haben. Das neue Album repräsentiert also viel von dem, was ich immer schon machen wollte." Warum hat das dieses Mal denn so gut funktioniert? "Weil wir eine Menge Zeit damit verbracht haben, die Sachen zu verinnerlichen", führt Ahmed aus, "wir haben einen ganzen Monat damit verbracht, die Songs immer und immer wieder zu spielen. Als wir dann ins Studio gingen, konnten wir das alles sehr gut verwirklichen." Um Stile und Genres geht es Ahmed aber eher nicht, oder? "Nein", bestätigt er, "es gibt eine Menge Sachen, auf die ich anspringe. Ich mag Funk und Soul aber auch klassische Americana, Singer/Songwriter, Reggae und auch afrikanische Musik. Das alles zusammen macht den Reiz aus - weil das von Leuten gemacht wurde, die unterdrückt wurden und die auf eine ernsthafte und ehrliche Weise in der Musik ein Ventil dafür fanden, sich auszudrücken. Das haben die armen Weißen in den USA mit den armen Schwarzen in den USA und Jamaikanern und Afrikanern gemein. Die Energie in dieser Musik fühlt sich für mich sehr vertraut an. Deswegen versuche ich, all diese Stile und Genres zu mischen."

Ein Song, der in persönlicher Hinsicht besonders heraussticht, ist "The Searching". Hier singt Ahmed davon, nach einer Erleuchtung zu suchen - nur um dann festzustellen, dass er selbst diese Erleuchtung ist. Das heißt: Ahmed sucht hier nach sich selbst, oder? "Ja, genau", bestätigt er, "das ist eine spirituelle Idee. Die Sache ist die, dass ich ziemlich lange gebraucht habe, bis ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin. Wenn du dir ältere Sinkane-Songs anschaust, dann wirst du feststellen, dass ich mir in Bezug auf meine Herkunft und meine Identität ziemlich unsicher war. Ich habe mich oft gefragt, wo in dieser Welt ich hingehöre. Ich bin auf der Suche nach einer Antwort auf diese Fragen allmählich zu der Erkenntnis gekommen, dass ich eigentlich sein kann, wer ich sein will. Als ich das akzeptiert hatte, hat mich das dann wirklich dazu inspiriert, mein Leben einfach zu leben, ohne es weiter hinterfragen zu müssen." Das heißt, die Suche nach dem Sinn des Lebens ist abgeschlossen? "Nein - das ist immer noch ein andauernder Prozess", ergänzt Ahmed, "je älter man wird und je mehr Leute man trifft, desto mehr Aspekte komme ja hinzu - und das kann dein Verständnis und deine Perspektive beeinflussen."

Sinkane
Ahmed erwähnte ja bereits das Internet: Was kann man heutzutage, wo alles in der allgemeinen Reizüberflutung versackt, als politisch aufmerksamer Musiker denn überhaupt noch mit seiner Kunst erreichen? "Musik ist das, wonach ein Gefühl klingt", überlegt Ahmed, "Musik ist eine universelle Sprache. Man kann jeden Song, den es auf der Welt gibt - egal in welcher Sprache er gesungen wird -, auf emotionaler Ebene verstehen. Es hängt alles zusammen. Insofern denke ich, dass das Medium Musik nach wie vor sehr kraftvoll ist, wenn es darum geht, Menschen zusammenzubringen. Das ist sogar heute mehr zu beobachten als früher. Einige Regierungen setzen ja sogar darauf, die Menschen über moderne Musik zu erreichen." Zwei weitere neue Sinkane-Songs - "On Being" und "Be Here Now" - sprechen dieses Thema ja auch an, nicht wahr? "Ja, absolut", pflichtet Ahmed bei, "speziell in 'On Being' hinterfrage ich, woher wir kommen und wie es zum jetzigen Zustand hatte kommen können. Diese Frage kann ganz schön verwirrend sein - speziell wenn du nicht religiös bist. Vielleicht ist es ganz gut, hier nicht nach einer Antwort zu suchen, sondern zu akzeptieren, dass man das gar nicht zu wissen braucht. Ich habe mich immer damit gequält, keine Antworten zu haben. Das macht einen nämlich wütend und unausstehlich. Als ich dann akzeptiert habe, dass ich eben keine Antworten habe, hat mir das geholfen, als Mensch zu wachsen." Was soll man dann stattdessen tun? "Die Realität einfach hinnehmen, wie sie ist", überlegt Ahmed, "es gibt nun mal schlimme Leute in dieser Welt und eine Menge negativer Energie. Das nicht zu verleugnen und es einfach hinzunehmen, kann ein sehr befreiendes Gefühl sein. Es hilft dir auch, zu einer optimistischen Einstellung zu finden." Und das wird auch in "Be Here Now" kommuniziert? "Nur indirekt", schränkt Ahmed ein, "in dem Song geht es um das verwirrende Gefühl, in einer sudanesisch geprägten Expatriierten-Gemeinschaft aufzuwachsen. Es geht darum, die dort geltenden Normen und Regeln - mit denen ich nicht notwendigerweise einverstanden bin - zu hinterfragen. Ich möchte hier einfach ausdrücken, dass man mich damit in Ruhe lassen möchte und mein Leben leben möchte, wie ich es für richtig halte. Ich muss sagen, dass dieser Song für mich eine sehr therapeutische Wirkung hatte."

Letztlich ist es Ahmed Gallab auf diese Weise gelungen, mit "Dépaysé" ein Album zu machen, das sowohl auf einer universellen, politisch/philosophischen Ebene wie auch als persönlich/spirituelles Statement seinen Zweck erfüllt.

Weitere Infos:
www.sinkane.com
www.facebook.com/SinkaneRa
www.youtube.com/watch?v=0I6uqK477Jo
www.youtube.com/watch?v=1rwttX5UUqg
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Sinkane
Aktueller Tonträger:
Dépaysé
(City Slang/Rough Trade)
jpc-Logo, hier bestellen

 
 

Copyright © 1999 - 2024 Gaesteliste.de

 powered by
Expeedo Ecommerce Dienstleister

Expeedo Ecommerce Dienstleister