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BRIGID MAE POWER
 
Beziehung mit dem Unbekannten
Brigid Mae Power
Die irische Songwriterin Brigid Mae Power ist eigentlich nicht das, was man als "politische Aktivistin" bezeichnen könnte. Auch auf ihrem nun vorliegenden, vierten Album "Dream From The Deep Well" deutet erst mal nichts darauf hin, dass Brigid ihr gewohntes Terrain mit einem ausgewogenen Mix aus autobiographisch geprägten eigenen Songs und ausgewählten Coverversionen von Traditionals und subjektiven Lieblingsliedern bewusst verlassen hätte. Und dennoch zeigen sich in einigen der neuen Songs der unter dem Eindruck der Pandemie erarbeiteten LP "Dream From The Deep Well" zumindest Spuren einer gewissen Unzufriedenheit und eine sich musikalisch durch eine gewisse Unerbittlichkeit manifestierende eindringliche Note im ansonsten eher auf Ausgeglichenheit geprägten und nur sachte an die Jetztzeit angepassten Neo-Folk-Ambiente. Grund genug, ein Mal nachzufragen, was es damit auf sich hat.
Brigids letztes Album "Head Above Water" war ja noch nicht von der Pandemie beeinträchtigt. Mit welchem Mindset ist sie denn das neue Album angegangen? "Na ja - ich habe halt über meine Gefühle geschrieben, die ich zu jener Zeit hatte", berichtet Brigid, "und das, wovon ich erzähle, basiert auf diesem Gefühl, dass sich alles sozusagen über Nacht für jedermann verändert hatte. Und während ich beobachtete, wie sich die Gesellschaft veränderte, wurde mir klar, dass ich auf eine ganz andere Art arbeitete als zuvor." Eingefasst wird die Scheibe von zwei Traditionals - "I Know Who Is Sick", das von den Clancy Brothers bekannt gemacht wurde zu Beginn und "Down By The Glenside", das etwa die Dubliners gespielt haben am Ende. Dazwischen gibt es noch Tim Buckleys "I Must Have Been Blind". Hat diese Auswahl irgend etwas mit Brigids Perspektive auf die neuen, eigenen Songs zu tun? "Nicht direkt", überlegt Brigid, "'Down By The Glenside' ist ein Traditional, das meine Großmutter gesungen hatte. Das habe ich dann als Tribut für sie aufgenommen. Aber das Tim Buckley-Cover hat gar nichts mit der Pandemie zu tun. Das habe ich nur dazu genommen, weil das der erste Songs war, den ich 2007 als Cover auf MySpace veröffentlicht habe." Ist denn dann auch die Herkunft ein Thema auf dem neuen Album? Neben der Hommage "Down By The Glenside" gibt es ja noch den Song "Some Life You've Known", das sich auf die Herkunft beziehen könnte. "Ja, 'Some Life You've Known' handelt von der Familie und auch der 'Waterford Song' gehört zu dieser Art von Songs, denn ich bin immer daran interessiert, die Abstammung und die Pfade, die Verwandte genommen haben zu erforschen. Das habe ich auch hier zum Thema gemacht."

Ein anderes Thema, auf das Brigid gestoßen ist, sind Migranten - oder besser Geflüchtete. In dem Song "Maybe It's Just Lightning", geht sie auf die Schwierigkeiten ein, die zum Beispiel Geflüchtete aus der Ukraine haben, von denen sie selbst einige bei sich aufgenommen hat. "Also der Song handelt nicht direkt von Geflüchteten, sondern spezifisch von Frauen", stellt Brigid richtig, "und davon, was Frauen durchmachen und wie viel von dem, was Frauen durchmachen, niemals anerkannt wird. Das wurde mir klar, als eine ukrainische Frau und deren Tochter, die ich bei mir aufgenommen hatte, mir erzählten, was sie durchgemacht hatten - und trotzdem mir als Mutter mit meinem Kind halfen. Ich war dann irgendwie davon beeindruckt, was Frauen zusammen erreichen können - selbst unter Lebensverhältnissen auf einer niedrigeren gesellschaftlichen Ebene und mit einem geringeren finanziellen Einkommen. Das ist sozusagen dann mein Tribut an diese Frauen." Ein ähnliches Thema streift Brigid mit dem Song "Aishling", indem sie hier die Geschichte der Musikerin und Lehrerin Aishling Morgan erzählt, die Anfang 2022 beim joggen überfallen und ermordet wurde. Alles in allem scheint dieses Album dann ja doch politischer zu sein, als für Brigid üblich, oder? "Ähem", räuspert sich Brigid, "es geht eher darum, dass mir dieser ganze Blödsinn zum Halse raushängt. Ich komme schon damit zurecht - aber es geht ja um die Menschen. Was bedeutet Politik ohne die Menschen? Ich habe - oder besser hatte - diesen ganzen Scheiß satt. Die Politik gehört natürlich auch dazu, denn das, was aus den Mündern der Politiker zu hören war, hatte ich natürlich auch satt."
Auf der anderen Seite sind da dann aber ganz persönliche Songs, wie zum Beispiel auch der Track "Coming Down", in dem Brigid ihren gegenwärtigen Geisteszustand zusammenfasst und dabei nach Halt in der Heimat sucht. "Ja, der Song beschreibt meinen gegenwärtigen Geisteszustand", bestätigt Brigid. "ich liebe es nun Mal, eine Musikerin zu sein und meine Fähigkeiten in dieser Weise nutzen zu können. Es ist aber auch alles, was ich kann. Besonders in unserer heutigen Zeit ist es ja sehr schwer, von der Musik zu leben. Man kann ja kaum noch Geld verdienen, indem man Scheiben aufnimmt und verkauft. Der einzige Weg, etwas zu verdienen, ist es, auf Tour zu gehen - und das ist auch schwierig. Obwohl ich gerne reise, entwickele ich als Mutter aber doch öfters Heimweh. Der Songs entstand am Ende einer Tour und vermittelt das Gefühl sehr wenig geerdet zu sein." Brigid singt in diesem Song ja auch davon, dass sie darauf hofft, wieder nach Hause zurückzukehren. Ihre Kollegin Neko Case erklärte aber mal in einer ähnlichen Situation, dass man eigentlich niemals nach zu Hause zurückkehren kann. "Das ist eine interessante Idee", zögert Brigid, "man kann nicht nach Hause zurückkehren, weil sich das Zuhause, das man verlassen hat, sich ja ständig verändert - richtig? Das ist eine weise Beobachtung von Neko und sie hat auch in dem Sinne recht, als das dieses Gefühl des Sehnens ja irgendwie unangenehm ist. Ich würde sogar sagen, dass man dieses dann auch noch haben kann, wenn man denn mal zu Hause ist." Das kommt vielleicht ja auch darauf an, wie man "Zuhause" für sich definiert. "Ja", pflichtet Brigid bei, "ich weiß gar nicht, ob es eine Phantasie ist oder ob es wirklich existiert - aber für mich ist 'Zuhause' eine Gemeinschaft - Menschen um sich zu haben, seien sie gleichgesinnt oder nicht. Das ist eine Idealvorstellung, die mich aber zuweilen auch mal unglücklich macht, wenn ich bemerke, dass ich mich danach sehne anstatt mich zu bemühen, eine solche Gemeinschaft zu fördern." Na ja - ein solches Sehnen kann ja auch täuschend sein. "Ja, indem man ja wohl niemals genau das erreicht, was man sich erträumt hat."

Womit wir beim Titel der LP angelangt wären. Wie erklärt sich in diesem Titel der Begriff "Traum"? "Meinst du Träume während der Nacht oder Ideen, die man anstrebt?", fragt Brigid zurück, "ich würde sagen, dass ich eine ziemlich verträumte Person bin. Schon in der Schule habe ich aus dem Fenster geschaut und Tagträumen nachgehangen. Insofern sind Träume mir schon wichtig. Es gibt da diese Tagträume, bei denen man sich bestimmte Dinge vorstellt - was ein wichtiges Werkzeug für mich ist, denn wenn ich etwas vor meinem Auge sehe, dann sehe ich auch, was als Nächstes kommt. Das ist das Gleiche wie beim Malen. Wenn ich etwas erträume, dann sehe ich die Farben, die ich verwenden muss. Aber auch Träume in der Nacht sind wichtig, denn wenn ich über etwas geträumt habe, dann kann vielleicht Jahre später feststellen, dass ich dann an einem Punkt bin, von dem ich damals geträumt habe. Weil das alles aus dem Unterbewusstsein kommt." Wie ist Brigid das Album musikalisch angegangen? Wie legt Brigid eigentlich fest, welcher Art ihre Songs sein sollen? "Ich arbeite da nach Gefühl", meint Brigid, "bei einem Song wie 'Ashling' fühlt sich ein einfaches, minimales Arrangement richtig an, während es sich bei anderen Songs anfühlt, als fehle da etwas, wenn sie pur bleiben - und dann ist etwas Aufwand nötig. Ich lasse mich da von meinen Gefühlen leiten und denke nicht zuviel nach. Denn wenn mein Kopf ins Spiel kommt, dann ist dieses Spiel ganz schnell vorbei." Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Musik ein Eigenleben besitzt? "Ich höre die Leute immer öfter sagen, dass wir Musiker nur ein Gefäß sind und die Musik durch uns durchfließe", führt Brigid aus, "das ist mir aber zu langweilig, denn wenn etwas immer wieder wiederholt wird, dann regt das meinen Unwillen an. Ich weiß aber, woher das kommt und kann es auch nachvollziehen. Das impliziert aber irgendwie ja auch, dass man dem hilflos ausgeliefert sei. Also kann das auch nicht stimmen. Ich denke, es geht um die Beziehung zwischen Energie und Offenheit ist, etwas zuzulassen." "Offenheit" ist also das Schlüsselwort? "Absolut", bestätigt Brigid, "das ist die Art, auf die ich Musik mache. Ich versuche nicht alles zu kontrollieren, sondern offen zu sein. Ich habe auch ein eher unterbewusstes Erinnerungsvermögen und bin auf Input angewiesen. Ich würde dir also zustimmen, dass Musik in dem Sinne ein Eigenleben hat, als dass es sich dabei um dieses erstaunliche, großartige, magische Ding handelt. Was aber auch gesagt werden muss, ist dass die Person und deren Fähigkeit, sich so öffnen zu können, ausschlaggebend ist. Und das fällt nicht allen leicht. Musik ist die Beziehung zwischen dem Unbekannten und dir selbst."
Wie ist die Musik dann entstanden? "Ich habe die Songs zunächst mal mit meinem Ex-Gatten Peter Broderick vorbereitet", erklärt Brigid, "wir haben erst mal alle Grundlagen für das Album live in Schottland aufgenommen. Dann haben wir Freunde gebeten, ihre Parts über die Distanz beizusteuern. Ich habe mir dann angehört, was sie gespielt haben und wenn es mir gefallen hat, habe ich es beibehalten und ansonsten eher nicht. Es war dann also ein bisschen eine kollaborative Angelegenheit - aber eben über die Distanz. Es war ja noch zu Zeiten der Pandemie." Was ist denn Brigids Haupt-Grund Songs zu schreiben? "Mein Haupt-Grund?", fragt sie überrascht, "das ist eine gute Frage. Ich weiß das gar nicht - weil ich das immer schon irgendwie getan habe. Aber da ich damit ja nicht genug Geld verdiene, sollte ich vielleicht ja was anderes machen?" Dabei muss sie allerdings selber lachen. "Manchmal schreibe ich schon Sachen mit einem therapeutischen Hintergrund - aber hauptsächlich finde ich es aufregend Sachen zu schreiben, die mich mit mir in Einklang bringen. Ich mag dieses Gefühl, wenn ich etwas geschrieben habe, das mich so zeigt, wie ich bin." Was ist denn dabei die Herausforderung? Solche Momente zu finden? "Hm - für mich ist das nicht so schwierig, da ich nicht so viel schreibe, wie andere", überlegt sie, "ich schreibe zwar jeden Tag irgendetwas in mein Buch - aber nicht mit der Absicht, einen Song zu schreiben. Songs entstehen einfach so - und wenn sie das tun, ist das ein Bonus, aber ich habe immer so viel zu tun und bin gleichzeitig so faul, dass ich das nicht zur Disziplin erhebe. Wenn das in Arbeit ausartet, dann kannst du nicht auf mich zählen. Es muss schon Spaß machen. Nein - meine größte Herausforderung ist, die Energie zu finden, nicht etwa etwas Anstehendes aufzuschieben."
Weitere Infos:
brigidmaepower.com
brigidmaepower.bandcamp.com
www.facebook.com/brigidpowermusic
twitter.com/brigidpowerhi
www.instagram.com/brigidmaepower
www.youtube.com/watch?v=locjQF4kF5Q
www.youtube.com/watch?v=5jyjjYuDFOU
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Eva Carolan-
Brigid Mae Power
Aktueller Tonträger:
Dream From The Deep Well
(Fire Records/Cargo)
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