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Pop-Kultur Festival 2023 - 3. Teil

Berlin, Kulturbrauerei
01.09.2023

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Gloria de Oliveira
Auch der dritte und letzte Festivaltag begann wieder mit der Nachswuchsförderung eine Stunde vor dem sonstigen Musikprogramm - und mit einer Art gespieltem Witz: Der Wuppertaler Musikus Schramm hatte ein Schriftlaufband auf der Bühne im Frannz-Garten aufgebaut, das seinen Namen zeigte - aber ausgerechnet ein Trennzeichen vergessen, so dass man seinen Namen auch als "Rammsch" lesen konnte. Das fiel ihm selbst dann auch auf - und hatte zum Glück keine musikalische Bedeutung.
Schramm (und sein enthusiastischer Kollege, der ausgerechnet eine Keytar schwang und mit seinen langen Haaren optisch an Thomas Anders erinnerte) bieten einen bislang stilistisch nicht klar festgelegten Sound aus Grunge-Pop, New Wave, Electro-Clash und Psychedelia - mal auf englisch, mal auf deutsch. Schramm meinte etwas in der Richtung, dass er nur traurige Songs schreiben könne - was sich aber in diesem Setting gar nicht so richtig heraushören ließ, da viele der Songs ganz schön lebendig daher kamen und auch mal munter rockten. Ganz klar ist der junge Mann noch nicht fertig mit seiner musikalischen Selbstfindung.

Die Wahlberlinerin Lisa Uebel tat sich für ihre Show an gleicher Stelle mit der "Bavarian New Wave Trash Pop Witch" Solar Powered Moon Town zusammen. Das relativ ungleiche Duo präsentierte sich mit einer Art Empowerment-E-Pop-Melange im Stil der klassischen neuen deutschen Welle. Der Vortrag bestand aus hyperaktiv schrill ausgelegten Tanzanimationen und plakativen Agitpop-Slogans - aber nicht wesentlich mehr. Das ließ dann - je nach Gesinnung - entweder kalt oder lud zum Mitmachen ein.

Im Maschinenhaus ging es dann mit einem Genre weiter, das auf dem Pop-Kultur-Festival eher selten zu finden ist: Mit Americana Pop der heute in Berlin lebenden US-Songwriterin Sarah Martin, die ihr Band-Projekt aus unerfindlichen Gründen Meagre Martin nennt. Denn so richtig mager war hier eigentlich gar nichts. Sarah hat ihren Musikern das US-Flair und die Harmoniefolgen ihrer Heimatkultur durchaus nahe gebracht und präsentierte sich an diesem Abend mit einem Set geschickt komponierter, mit poppigen Elementen angereicherten, organischer US-Rock-Tracks im Selbstfindungsmodus, die jetzt zwar nicht im Vergleich mit typischen US-Bands, aber sehr wohl an dieser Stelle in Berlin aufhorchen ließen. Ob Sarah selbst so richtig Spaß an dem Vortrag hatte, ließ sich gar nicht erkennen, denn das wurde alles mit einer zurückhaltenden Ernsthaftigkeit präsentiert.

Auf dem Weg zum Frannz Club gab es im Frannz-Garten noch ein interessantes Collabo-Projekt zu begutachten. Der Berliner Allround-Musikus Jonas Schilling und die in Frankreich geborene, aber in Tel Aviv aufgewachsene israelische Songwriterin, Saxophonistin und Pianistin Odelly hatten sich für eine Berlin-Residency zusammengetan und präsentierten einen faszinierenden Mix aus E-Pop, Trip-Hop, New-Wave und Club-Elementen - teils multilingual, trotz des improvisatorischen Ansatzes überraschend songorientiert und zugänglich und letztlich von der sympathischen Bühnenpräsenz der beiden Protagonisten getragen. Dabei präsentierten sie sich abwechselnd as Frontpersonen - funktionierten aber eigentlich in der Kollaboration am Besten.

Im Frannz-Club selbst agierte das um einen Live-Drummer ergänzte, aus Lewis und Suzie Cook bestehende, Glasgower Duo-Projekt Free Love mit einem ähnlichen Setting wie zuvor Jonas Schilling und Odelly - allerdings mit einer wesentlich dance-lastigeren, poppigeren und im Vergleich konventioneller ausgelebten Zielrichtung. Das Set litt ein wenig unter dem unglücklichen Aufbau des Equipments: Der Drummer saß auf der linken Seite der Bühne, Lewis Cook hatte seine Gerätschaften auf der rechten Seite aufgebaut und Suzi Cook hantierte hinter einem Mikro-Ständer im hinteren Teil der Bühne an einem Steuergerät herum - Frannz-typisch eher im Schatten als im Limelight. Nur gelegentlich begab sie sich an den Bühnenrand und ins Auditorium, um dann die Zuschauer zum Mitmachen zu motivieren. Acid Pop nennt sich das, was Free Love da machen - und das kann recht lebhaft und munter zugehen, wenn Free Love in Form und Funktion in der Präsentation zusammenfinden.

Für viele - insbesondere aber die, die eine der drei Performances im RambaZamba-Theater gesehen haben - dürfte das Commissioned Work "Serẽa" der Songwriterin. Komponistin, Schauspielerin und Hörspiel-Künstlerin Gloria de Oliveira schlicht das emotionale und musikalische Highlight des gesamten Festivals gewesen sein. Auf dem Synästhesie-Festival im letzten Jahr hatte Gloria noch mit ihrer Band ein vergleichsweise konventionelles Konzert im Dreampop-Noir-Stil aufgeführt - damit hatte "Serẽa" aber nichts zu tun. "Serẽa" ist die portugiesische Wort für Sirene - was angesichts Glorias brasilianischen Roots nicht verwunderlich ist. Im weitesten Sinne ging es in dem Stück um die Beziehung von Frauen und dem Wasser. In einem phantastischen Bühnenbild aus gemalten Muschelschalen hatten sich Gloria und ihre Mitstreiterinnen versammelt, um Songs und Lieder zum Thema aus allen möglichen Kulturkreisen zusammen zu tragen. So gaben sich dann Sirenen, Meerjungfrauen, Selkies und Wasserfeen- und Hexen sozusagen ein vielstimmiges, harmonisches Stelldichein. Dabei kamen dann so unterschiedliche Elemente wie Bossa Nova, Kunstlied, gälische Folklore, Volksmusik und Fado zum Tragen - auf betont emotionale und mystische Art und Weise und vollkommen organisch zudem. Als Basis hatte sich Gloria dafür nämlich Gedichte der altgriechischen Lyrikerin und Philosophin Sappho ausgesucht. In einer Beschreibung von Sapphos Kunst hatte sie gelesen, dass diese ihre Gedichte dereinst zu Lyra und Flöte zum Vortrag brachte - und hatte dann für die musikalische Umsetzung genau dieses Setting gewählt. Zum Glück hatte sie mit Lina Palera dann auch tatsächlich eine Lyra-Spielerin finden können. Ebenfalls dabei waren die Flötistin Lisa Baeyens (Albertine Sarges Band) und Seda Kaçak und Olga Karatzioti-B. zur gesanglichen Unterstützung. Kurzum: Das funktionierte so gut, dass der Plan, dieses Projekt auch in einem Album-Format festzuhalten auf jeden Fall weiter verfolgt werden sollte. Schon alleine die Idee, die Lyra vielleicht als Instrument im kontemporären Kontext wiederzuentdecken, erscheint lohnenswert.

Das anschließende Konzert von Stella Sommer und ihrer Band hatte dann darunter zu leiden, dass - wie Stella während der Show erklärte - die hundert mitgebrachten Instrumente des Ensembles erst mal wieder aufgebaut werden mussten, bevor die Show losgehen konnte. Will meinen: Erneut gab es eine gehörige Verzögerung bei der abschließenden Show im Palais-Club. Freilich: Da hätte sich jedes Warten gelohnt. Nachdem das Projekt Die Heiterkeit ja nun wirklich dauerhaft auf dem Backburner liegt, hat Stella im letzten Jahr mit ihrem brillanten, dritten englischsprachigen Werk, dem Doppelalbum "Silence Wore A Silver Coat", ihren internationalen Songfundus auf einen Schlag verdoppelt - und konnte ergo bei der Show im Palais dann auch aus dem vollen schöpfen. Wie üblich präsentierte sie sich selbst dabei mit obercooler Nonchalance und führte ihre brillante Band durch ein ausgewogenes Programm aus hymnischen Mid-Tempo-Songs und orchestral inszenierten, epischen Balladen - sowie einen "Rock-Teil" (so nannte sie selbst das ironisch) aus wenigen Songs, die - wie "In My Darkness" - auch mal etwas flotter swingten. Auch Stella Sommer konnte sich nach ihrem Auftritt nicht einfach kommentarlos davon schleichen und ließ sich dann dazu bewegen, sich für eine Zugabe dann selbst noch ein Mal ans Keyboard zu setzen. Atmosphärisch und Harmonisch macht Stella Sommer zur Zeit niemand so schnell etwas vor - und somit geriet diese Show dann zu einem würdigen Abschluss eines an reizvollen Akzenten gewiss nicht armen dritten Festival-Tages. Rein technisch gesehen hätte man danach zwar noch weitermachen können, aber man soll ja aufhören, wenn es am Schönsten ist.
Surfempfehlung:
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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
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