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Caroline Polachek - Desire, I Want To Turn Into You

Platte der Woche

KW 07/2023


Caroline Polachek - Desire, I Want To Turn Into You
Perpetual Novice/The Orchard/Membran
Format: LP

Besonders geradlinig ist die Karriere von Caroline Polachek ja nun wirklich nicht verlaufen. Ihre musikalische Laufbahn startete sie mit dem E-Pop-Projekt Chairlift, das sie 2005 zusammen mit Aaron Pfenning und später Patrick Wembley noch als Uni-Projekt in Boulder, Colorado, gründete und mit dem sie in NY bis 2016 immerhin drei Alben einspielte. Bereits während ihrer Zeit in Chairlift startete Caroline 2014 ihre Solo-Karriere - damals allerdings unter dem Künstlernamen Ramona Lisa. Parallel dazu entwickelte sie ein Instrumental-Projekt namens CEP. Erst 2019 - sozusagen am Vorabend der Pandemie - brachte sie ihr erstes Album unter ihrem eigenen Namen mit dem Namen "Pang" heraus. Das erschien damals auch notwendig und sinnvoll, da Caroline erst mit diesem Album auf dem Weg zu einer eigenen musikalischen Identität war - weg vom simpel gestrickten E-Pop hin zu einer produktionstechnisch eindrucksvoll ausgelebten hypermodernen Art-Pop-Melange, die unter anderem auch von den zahlreichen Projekten beeinflusst schien, an denen Caroline kollaborativ beteiligt war - beispielsweise Christine And The Queens, Charli XCX und vor allen Dingen Beyonce, mit der Caroline an dem Song "Angel" arbeitete. Nachdem sie sich auf "Pang" noch mit den Qualen der Liebe - unter anderem unter dem Eindruck einer Trennungsgeschichte - beschäftigt hatte und ihren Emotionen mit energischen Ausbrüchen freien Lauf ließ, geht es auf der neuen Scheibe "Desire, I Want To Turn Into You" um das "Strudeln". Und zwar um jene Art des Strudelns der im Englischen das außer Kontrolle geraten mit dem Begriff "Spiralling" bezeichnet. Das kann nach unten oder nach oben, seitwärts oder ziellos erfolgen. Besonders deutlich wird Caroline nicht, denn ihre Lyrics entspringen in assoziativer Hinsicht aus dem Unterbewusstsein. Es fällt jedoch auf, dass unter der glitzernden Oberfläche immer wieder Verderbnis, Blut und Tod durchschimmern - wie bei David Lynchs "Blue Velvet" zum Beispiel. Um Eskapismus - wie diverse bunte Hedonismus-Referenzen vermuten lassen könnten - geht es Caroline jedenfalls nicht.

Musikalisch ist der Wunsch, sich selbst in Verlangen umzuwenden, gespickt mit musikalischen Experimenten, die Caroline in einem mehrere Jahre andauernden Patchwork-Verfahren collageartig miteinander verquickte. Da gibt es so Manches, was man in der modernen Pop-Musik für gewöhnlich nicht miteinander in Verbindung bringt: Flamenco-Gitarren, Orgeln im Procol-Harum-Stil, oder Pizzicato-Strings und mehr. Freilich wird das oft so sehr gesampelt und getweakt, dass die Basis gar nicht mehr zu erkennen ist. Das macht aber Sinn, denn Caroline ist ja eine bekennende Verfechterin des Artpop-Prinzips. Zusammengehalten wird das alles von nervös-komplexen Drum'n'Bass-Grooves und natürlich Caroline Polacheks sehr eigener Gesangstechnik. Anstatt nämlich ihren beeindruckenden Stimmumfang wie eine Opernsängerin koloraturartig auszuloten, hat sich Caroline eine Gesangstechnik mit hohem Wiedererkennungswert angeeignet, mittels der sie ihre Stimme nach Belieben zwischen den Tonarten hin und herkippen lässt. "Haters will call it Autotune" demonstriert sie diese Fähigkeit in einem kurzen Video - in dem eben KEIN Autotune zum Einsatz kommt. Das begann in Ansätzen bereits zu Ramona Lisa-Zeiten - aber heutzutage hat Caroline diese Technik dergestalt perfektioniert, dass da eine ganz eigene Kunstform draus geworden ist. Obwohl Caroline mit einigen Mega-Artists - wie eben Beyonce oder Dua Lipa - zusammengearbeitet hat, hat sie sich gegen eine Karriere als Major-Star entschieden und sieht sich in der Tradition unangepasster, autonomer Individualistinnen wie z.B. Kate Bush, Fiona Apple oder Sophie B. Hawkins. Auf "Desire" untermauert sie diesen Anspruch noch, indem sie für den für ihre Verhältnisse geradlinigen Lovesong "Fly To You" gleich zwei solcher Individualistinnen - nämlich Dido und Grimes - als Gastsängerinnen verpflichtete. Mit "Desire, I Want To Turn Into You" ist Caroline Polachek ein Album gelungen, bei dem Individualität, Inhalt und Form in bemerkenswert konsequenter Weise miteinander zu einem schlüssigen Gesamtkunstwerk verbunden werden.


-Ullrich Maurer-


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