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CHUCK PROPHET
 
Der Wunderheiler
Chuck Prophet
Der Titel dieser Story ist zugegebenermaßen eine lahme Wortspielerei, die sich auf den Titel des aktuellen Chuck Prophet-Albums, "Age Of Miracles", bezieht. Wenn überhaupt, dann hat sich Chuck hier vor allen Dingen selbst geheilt - oder befreit: Vom Americana-Stigmata nämlich, mit dem viele seiner ehemaligen Kollegen (z.B. aus Green & Red Zeiten) und Zeitgenossen gezeichnet sind. (Scheinbar eben ohne Aussicht auf Heilung.) Seit einiger Zeit bereits ist Chuck erfolgreich bemüht, sich von etwaigen stilistischen Fesseln zu befreien und experimentiert munter drauflos - mit Versatzstückchen von allem, das sich nicht wehrt: Soul, Lounge-Musik, 50s Pop, 60s Psychedelia, Blues, Rock etc. - zusammengehalten und vorgetragen von / mit der Prophet typischen Schnodder-Schnüss (das meint die theatralisch hingerotzten, nicht immer ganz ernst gemeinte Art, in der er seine Kleinkunstwerke präsentiert).
Was ist denn für Chuck das Zeitalter der Wunder, das nun angebrochen zu sein scheint? "Das sind die modernen Zeiten, in denen wir jetzt gerade leben", meint der Meister, "eine Zeit medizinischer Wunder und seltsamer Heilungsmöglichkeiten, eine auf Amphetamin beruhende Fast-Food Überholspur. Über-Nacht-Zustellung, eMail, Instant Messaging." Ja, aber das sind doch keine Wunder, sondern Dinge, die tatsächlich existieren - wenngleich auch auf weniger illustrative und eher profane Art und Weise. "Ich weiß nicht", überlegt Chuck, "Wunder können doch jeden Tag passieren, wenn du an dieses Konzept glaubst. Es hat mich auch noch niemand nach einer wörtlichen Interpretation des Titels gefragt. Das ist ja wieder mal typisch deutsch. Es geht jedenfalls nicht um eine Art von Utopia, wenn es das ist, was du meinst." Okay - versuchen wir es mal pragmatischer: Die ganze CD ist zwar ein bunter Mischmasch an Stilen, der jedoch eines gemeinsam hat: Die Stücke schließen sich nahtlos aneinander an und passen ziemlich gut zueinander - bis auf den ersten Track, der im Vergleich zum Rest eine ziemliche Schweinerock-Nummer ist. Warum steht "Automatic Blues" am Anfang der Scheibe - und vermittelt so einen vielleicht irreführenden ersten Eindruck auf das, was folgt? "Das ist es ja gerade", sagt Chuck, "ich mag so etwas. Bei Filmen nennt man das einen 'Augenwärmer' - ich weiß nicht, ob es den Ausdruck bei euch gibt. Ich mag es, den Leuten beim ersten Kontakt die Ohren wegzublasen, damit ich deren Aufmerksamkeit habe und sie dann später mit dem gefühlvollen Scheiß einlullen zu können." Man muss vielleicht noch erwähnen, dass Chucks Humor so trocken ist, dass man ihn öfter mal wässern sollte. Das geht sogar soweit, dass auch direkte Geschäftspartner und Kollegen zuweilen Probleme haben, erkennen zu können, wo der Witz aufhört und die Verarsche anfängt. Das gehört aber zweifelsohne zu den Behandlungsmethoden des Wunderdoktors Prophet.
Dabei gibt es dann sehr viel weniger Masterplan, als man sich vorstellen kann. Chuck lebt doch zum großen Teil aus dem Bauch heraus, wie es scheint. Das gilt auch für seine Art, Songs zu schreiben, die er als "Skywriting" bezeichnet - was aber nicht unbedingt in die Richtung "Hans guck in die Luft" weist: "Es geht darum, Melodien aus der Luft zu greifen. Man findet vielleicht eine Harmoniefolge oder eine Gitarrenlinie, wenn man die Straße entlang geht. Der Rhythmus, in dem du das tust, regt dich vielleicht zu Worten an, die dann aus deinem Mund kommen. Manchmal sind das nur Sounds oder Silben oder bloß Goo-Goo-Matsch. Wenn du aber aufpasst und dich konzentrierst, kannst du auch Worte aus der Luft fischen. Manchmal singt man einfach 'Bomschubidu' und das ist dann der Knochen, den man in die Suppe schmeißen muss, um sie zu kochen. Wenn dann die Suppe fertig ist, dann nimmst du den Knochen wieder raus und ersetzt ihn durch Fleisch." Das hört sich aber ziemlich esoterisch an. Geschieht das alles im Unterbewusstsein? "Absolut, absolut", beeilt sich Chuck beizupflichten, "und es ist ein guter Tag, wenn es dir gelingt, überhaupt in diese Zone zu gelangen. Das passiert nämlich nicht jeden Tag." Gab es denn für die neue Scheibe eine besondere "Zone"? "Neee", seufzt Chuck, "ich denke, ich habe das gemacht, was ich immer mache: Zu versuchen, mich selbst zu unterhalten. Ich meine, es gibt so viele Arten von Musik, die ich noch nicht verinnerlicht habe. Musik, von der ich ein Fan bin, mit der ich lebe, die mir unter die Haut geht, die mein Lebensblut ist. Es gibt Leute, die ein bestimmtes Album zu einer bestimmten Zeit machen können. Ich weiß aber leider nicht wie das geht, sondern zehre von allem." Und wie kam dann das Ergebnis zustande? "Das weiß ich auch nicht", rätselt Chuck, "ich weiß einfach nicht, wie es funktioniert. Wenn ich einen Song fertig geschrieben habe, dann trete ich davon zurück und versuche herauszufinden, was er denn braucht. Wenn er einen bestimmten Groove braucht, dann ist das okay. Und wenn dann noch eine Pedal-Steel Gitarre fehlt, suche ich jemanden, der so was spielt. Ich spiele immer noch gerne den Kerntrack mit ein paar Leuten live ein - so sehr ich auch den Prozess des Überspielens mag. Auch die Beatles in ihrer schlechtesten Phase - beim White Album - waren immer noch eine Band. Auch wenn John nicht bei jedem Stück mitgespielt hat - er hat immer noch in der Ecke Tambourine gespielt. Es sind immer diese kommunikativen Energien von ein paar Leuten, die das Ergebnis bringen. Sowas kann man nicht vorher niederschreiben. Wir nutzen zwar einen Computer zum schneiden, ich habe aber nicht die Aufmerksamkeitsspanne, die notwendig ist, um Laptop-Musik zu machen. Ich packe die Musik lieber bei ihren Wurzeln und reiße sie aus. Wenn du im Computer herumfummelst, bekommst du zwar kleine Effekte hin, aber die wesentlichen Sachen musst du auf andere Weise erreichen. Wenn du etwa Liebe in einen Song einbringen willst, dann geht das nicht mit einem Computer." Dabei sind es doch gerade die kleinen Dinge, die zuweilen den Unterschied in einem Song ausmachen, oder? Auf dieser Scheibe ist es z.B. der Gebrauch der Triangel. "Nun, eine Triangel ist ja nicht so ungewöhnlich", gibt Chuck zu bedenken, "es ist nur wichtig, die richtigen Zutaten zu finden. Es gibt eine Million Möglichkeiten, aber nur eine, die richtig ist. Es kann so sein, dass ich einen Song in drei Minuten aufnehme, aber drei Wochen damit verbringe, ein Glockenspiel zu finden, weißt du. Die sind übrigens in den Staaten ziemlich schwierig zu bekommen. Es kann sogar passieren, dass ich z.B. die sechste Straße runterlaufe, in einem Schaufenster ein Glockenspiel sehe und auf einmal weiß, was zu tun ist und einen Song darumherum schreibe. Das ist dann so ein Moment absoluter Klarheit. Warte mal, ich habe hier ein Snowboard, da habe ich eine Idee..." Wie gesagt: Ziemlich trocken.
Chuck Prophet
Was ist es denn, das Chuck dieser Tage unterhält und auf die oben beschriebene Art herausfordert? "Ich weiß nicht genau. Ich bin immer glücklich, wenn James Elmore ein neues Buch herausbringt. Ich mag auch Richard Price. Es gibt so viele Dinge, die mich unterhalten. Was aber die Musik betrifft, fühle ich mich ehrlich gesagt oft gar nicht so sehr inspiriert. Ich muss die Sache aussitzen. Das passiert aber anderen auch. Ich habe Bob Dylan oft gesehen, als er mir nicht besonders inspiriert erschien. Man muss eben weitermachen und die Ideen herumwürfeln, bis man eine Welle erwischt oder einen inspirierenden Virus. Du musst auch so viele Leute wie möglich mit deinen Ideen konfrontieren. Ich versuche halt, mich nicht zu wiederholen und ich zensiere mich selbst in dieser Richtung." Hat es vielleicht damit zu tun, vom typischen Americana Sound wegzukommen? "Absolut", bestätigt Chuck, "es ist ja armselig genug, dass viele Leute das überhaupt noch machen. Der Grund dafür, dass es so viele Leute tun, ist vermutlich der, dass es so verdammt einfach ist. Das ist jedenfalls meine Meinung." Was ist denn, nach Chucks Meinung, die größte Errungenschaft der aktuellen CD? "Ich versuche immer die Art von Scheibe zu machen, zu der die Leute zurückkommen - eine Scheibe mit Charisma", überlegt Chuck, "weißt du, so wie die alten Alben, die du immer wieder umdrehtest, um sie wieder und wieder zu hören. Das ist zugegebenermaßen ein mysteriöses Ding, nach dem ich da suche, das ist mir schon klar. Ich versuche aber, dem so nah wie möglich zu kommen. Das kann man nicht genau definieren." Chuck war der erste Musiker, der nach den letzten US-Wahlen Zeit für ein Interview gefunden hatte (auf einer kleinen Promo Tour, die ihn auch nach Deutschland führte). Was hat er denn zu dem Thema zu sagen? "Da ist mir eine Idee gekommen - kennst du das Paradiso in Amsterdam? Das ist ein Veranstaltungsort in einer ehemaligen Kirche. Meine Idee war nun, dass ich, wenn ich zurück in den USA bin, vielleicht eine Tour durch den mittleren Westen und den Süden machen sollte. Vielleicht sollte ich versuchen, auch dort Kirchen in Veranstaltungsorte umzuwandeln. Dann könnte man die Kirchen einer besseren Verwendung zuführen, die richtigen Leute erreichen und gleichzeitig eine Party veranstalten." Hm. Auf so was hätte vielleicht mal jemand vor der Wahl kommen sollen?
Weitere Infos:
www.chuckprophet.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigabe / Ullrich Maurer-
Chuck Prophet
Aktueller Tonträger:
Age Of Miracles
(Blue Rose Records/Soulfood)

 
 

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